Ungarisch als agglutinierende Sprache

Die ungarische Sprache zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Eigenschaft aus: Sie ist eine agglutinierende Sprache.

Das bedeutet, dass grammatische Beziehungen durch das Anfügen von Endungen oder Affixen an Wortstämme angezeigt werden (lat. „agglutinare“ bedeutet „ankleben“). Ein offensichtliches Beispiel dafür ist das ungarische Wort „rag“, welches „Suffix“ bedeutet und die Basis für das Verb ragasztani“ (kleben) bildet, was verdeutlicht, wie Morpheme wie Bausteine kombiniert werden, um neue Wörter zu bilden oder die verschiedenen Fälle der Sprache zu unterscheiden.

Anmerkung

Morpheme sind übrigens die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten in einer Sprache. Sie können nicht weiter in kleinere bedeutungsvolle Teile zerlegt werden und dienen zur Bildung von Wörtern. Beispiele in Deutsch sind das Vokabel „Buch“, das Suffix „-ung“ und „Bildung“ oder „un-„ in „ungesund“.

In der ungarischen Sprache werden diese Bausteine nicht nur zum Anzeigen von Zeit, Fall (Kasus), Zahl, Geschlecht oder Modus verwendet, sondern auch zur Bildung von Verhältnissen bezüglich Besitz, Örtlichkeit und Zeit, die im Deutschen eher durch Possessivpronomen, Präpositionen oder Präpositionalphrasen ausgedrückt werden. Diese Art der Wortbildung ermöglicht eine außergewöhnlich präzise Beschreibung von Verhältnissen, was die Sprache sehr detailliert macht – und sehr schnell, da (wie in mathematischen Formeln) der Informationsgehalt pro Wort unglaublich hoch ist.

Anmerkung

Ein Beispiel:
gereblyézgettethette → Er/Sie könnte ihn/sie dazu gebracht haben, wiederholt zu harken.

gerebly (der Rechen, die Harke)
gerebly -z (Verbbildung) = gereblyéz (rechen, harken)
gereblyéz -get (Frequentativsuffix) = gereblyézget (wiederholt harken)
gereblyézget -tet (Kausativsuffix) = gereblyézgettet (jm. dazu bringen, wiederholt zu rechen)
gereblyézgettet -het (Möglichkeitssuffix) = gereblyézgettethet (jm. dazu bringen zu können, …)
gereblyézgettethet -t (Vergangenheit) = gereblyézgettethette (jm. dazu gebracht haben können…)

Was so nicht im Wörterbuch steht

Um die ungarische Sprache zu beherrschen, ist es daher (leider) notwendig, nicht nur die Wörter aus dem Wörterbuch zu beherrschen. Die unzählige Anzahl von Suffixen – meist in verschiedenen Varianten für helle und dunkle Wörter – findet man nämlich nicht darin.

Anmerkung

Die guten Nachrichten hingegen möchte ich auch nicht vorenthalten: Dafür ist alles sehr „mathematisch“, eindeutig und klar aufgebaut. Ausnahmen sind eher die Ausnahme – nicht so wie im Deutschen 😉. Außerdem gibt es keine grammatikalischen Geschlechter, nur 3 Zeitformen – und man spricht alles so, wie man es schreibt.

Daher auch diese Website: Im Grammatikbereich gehe ich auf alle wichtigen Endungen ein – sei es die Personalendungen, die verschiedenen Modi, Ortssuffixe und vieles mehr.

Ich habe im Internet übrigens auch ein Suffixwörterbuch gefunden:

Hier ist ein Link dazu ›.

Anmerkung

Das „Ankleben“ hört übrigens bei den Wörtern im Wörterbuch nicht auf: Viele angegebene Wörter lassen sich auch weiter auf einen „Kern“ zurückverfolgen.
Als Beispiel siehe das Wort szeretkezik.

Es geht teilweise sogar soweit, dass einzelne Silben bis hin zu Buchstaben eine Bedeutung haben, auf die man Rückschlüsse auf die Herkunft und Geschichte des Wortes erhält (siehe Ein Alphabet der Ideen ›). Auch dazu ein Beispiel:

„Wörter mit Stamm ve- haben mit dem Ende zu tun. In veszedelem (lt. Wörterbuch „Gefahr, Bedrohung“) finden wir diese Komponenten: das bis ans Ende (ve-), andauernde (-sz-), der Beginn dessen (-d-), seine Verwirklichung (-l-), im abstrakten Sinne (-m). Veszedelem ist also der abstrakte Begriff des Permanentwerdens des Beginns des bis zum Ende andauernden.“ 2

Zusammenfassung

Zum Abschluss lässt sich also sagen, dass das Ungarische als agglutinierende Sprache eine bemerkenswerte Präzision und Klarheit bietet. Die Verwendung zahlreicher Suffixe und Affixe ermöglicht es, komplexe Konzepte und Verhältnisse direkt in den Wörtern auszudrücken, was die Sprache äußerst effizient und informationsreich macht. Das erfordert ein gewisses Maß an linguistischem Verständnis, doch wer sich darauf einlässt, kann die Schönheit und Effizienz dieser einzigartigen Sprache vollends genießen 😊👌

(Farkas, Josef-Gerhard, 2013), S. 320
(Gaal 2009), https://sites.google.com/site/tanuljmagyarul20090909/home/madjaraj_komponantoj